DAS POURIM-SHPIL

Von Jean-Gabriel Davis

Das Purim Shpil – oder auch „Purimspiel“ – ist ein satirisches Stück, welches Theater, Musik, Tanz, Gesang, Pantomime und Verkleidungen miteinander vermischt. Der Brauch steht in enger Verbindung mit dem Karnevalsfest Purim und der Geschichte von Königin Esther und ihrem Onkel Mordechai, welche das Vorhaben des bösen Haman, dem Minister des persischen Königs Ahasveros, der das jüdische Volk auslöschen wollte, vereitelten.

 

Die im Buch Ester, dem letzten Buch der hebräischen Bibel, geschilderten Ereignisse gehen auf etwa das fünfte Jahrhundert v. Chr. zurück. Bereits im fünften Jahrhundert n. Chr. war es üblich, feierliche Prozessionen abzuhalten, bei denen ein Abbild von Haman gehängt oder verbrannt wurde. Manche sehen in diesem Brauch, den Ursprung der Purimspiele, auf deren Grundlage, sich im 18. Jahrhundert das jiddische Theater entwickeln sollte.

Jean Baumgarten hielt im Rahmen der Präsentation des Projekts Pourim Shpil Unesco im Rathaus von Paris, am 12. Dezember 2013 eine Rede und betonte darin den besonderen Zauber dieses Festes:

„[…] dieses Zeit des Exzesses, der Rebellion, rhythmisiert von Tänzen, Liedern, durchsetzt von Ess- und Trinkgelagen. Keine Gesellschaft vermag es, diesem Wechsel von Heiligem und Profanem, dieser Gratwanderung zwischen Exzess, Sakrileg und Zügellosigkeit einerseits und Respekt vor dem Gesetz, gesellschaftliche Normen und Verbote andererseits, zu entkommen.

In der jüdischen Gesellschaft, entspricht diese Festzeit Purim […]. An diesem Festtag wird die Rettung der Juden durch Mordechai und Esther gefeiert, welchen es gelang, das Vorhaben des bösen Haman, dem Minister des persischen Königs Ahasveros, welcher das jüdische Volk auslöschen wollte, zu vereiteln. Die Megillat Esther erzählt von diesem diabolischen Komplott und seinem glücklichen Ausgang. […] Der Tag ist auch, von einer Reihe von festlichen Momenten geprägt. Man trinkt bis man, so sagt der Talmud, nicht mehr vermag zwischen „verflucht sei Haman“ und „gesegnet sei Mordechai“ zu unterscheiden. Man lacht. Man singt. Man tanzt. Das Studium wird ausgesetzt. Geschenke werden ausgetauscht, Kuchen wird angeboten. Nächstenliebe wird gelebt, vor allem durch Spenden für die Armen. Man speist, besonders bei einem Festessen. Man verkleidet sich. Das ist außerdem der einzige Tag des hebräischen Kalenders, an welchem es erlaubt ist, das Geschlecht zu wechseln. Deshalb leihen sich Männer die Kleidung ihrer Mütter, Schwestern und Ehefrauen. […] Das Purim-Shpil ist eines dieser transgressiven Rituale. Es ist ein Monolog, ein Sketch, ein Theaterstück, welches auf Jiddisch im privaten Bereich, während des Purimessen oder im Gemeinschaftsraum aufgeführt wird. […]

Die Tradition des Pourim-Shpil hat sich in Europa, vom späten Mittelalter bis heute entwickelt und zeugt von seiner zentralen Rolle, in der aschkenasischen Kultur. Das frühste Zeugnis in jiddischer Sprache findet sich im Jahr 1555 in Italien wieder. Das soll nicht heißen, dass es das Pourim-Shpil nicht früher schon gegeben hat. […]

Diese burlesken Stücke, welche mit Purim in Verbindung stehen, vermischen Gesang, Pantomime und Tanz und wurden zur Matrix des jüdischen Theaters. Dabei spielte die jiddische Sprache aufgrund ihres Einfallsreichtums, ihrer Kreativität, ihrer langen literarischen Tradition und ihres reichen Repertoires an Gedichten und Liedern, eine bedeutende Rolle bei der Entstehung der Purimspiele. […]“

 

Einige Purim-Shpil…

Die Megila fun Itsik Manger
Bei der Meguilla von Itsik Manger handelt es sich sicherlich um die bestbekannte Adaptation der Esther Schriftrolle. 1936 veröffentlichte Itsik Manger seine Megile-lider (Lieder über die Schriftrolle Esther), etwa dreißig imaginierte und poetisierte kleine Szenen, welche die Geschichte von Purim erzählen, dieser dabei jedoch auch humoristische, lustige und sogar provokative p_4951_vig.jpgWendungen hinzufügen, welche traditionellerweise in einem Pourim-Shpil zu finden sind. In seiner Einleitung schrieb Isik Manguer 1936: „ […] Gewiss, die Geschichte wird hier etwas anders erzählt. So wurden etwa die offiziellen Erzähler der Schriftrolle, zum Schweigen gebracht und was noch viel wichtiger ist, es wurde die Figur des Schneiderjungen Couturosso hinzugefügt. Dieser führt, trotz seiner vergeblichen Liebe für Königin Esther und seinem Mordversuch am König Ahasveros, dennoch zahlreiche wichtige Geschehnisse herbei. […] Die historische Wahrheit wurde so auf jeden Fall verfälscht! Der Leser wird protestieren und schließlich Recht bekommen. Doch sie, die Chronisten, haben den Löwenzahn schon viel zu lange von der Wurzel her gegessen und ihren Hintern den Sternen entgegen gereckt. Und Sie können noch so schreien, Sie werden sie doch nicht stören, bevor der Messias zu kommen vermag.“

Doch erst fast 30 Jahre später wurden diese Megile-lieder zu einem echten Pourim-Shpil mit verkleideten Schauspielern, welche vor einem staunenden Publikum spielten und sangen. Unter der Regie von Shmuel Bunim und mit der Musik von Dov Seltzer wurde dieses Stück zunächst in einem Theater im alten Jaffa aufgeführt und tourte dann durch die Vereinigten Staaten. Anschließend wurde das Stück von verschiedenen Theaterkompanien in Strasbourg, Dresden, Tel Aviv, Montreal, New York, auf Jiddisch, Hebräisch, Jiddisch und Hebräisch oder Jiddisch und Französisch aufgeführt…

 

Schauen Sie sich im Folgenden einen Auszug aus dem Stück Die Meguilla von Itsik an, welches unter der Regie von Rafael Goldwaser auf Jiddisch und Französisch, im April 2015, im Centre Medem aufgeführt wurde. (Gefilmt von Bernard Flam)

Schauen Sie sich eine Aufnahme von der Meguilla von Itsik Manger in ihrer Originalfassung auf Hebräisch und Jiddisch aus dem Jahr 1976 an

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Das Troïm Teater – jiddische Theatertruppe des Maison de la Culture Yiddish, bei der Aufführung von Homens Mapole, unter der Regie von Charlotte Messer, 2015

Homens Mapole
Die Niederlage des Haman ist ein Stück „welches 1940 von Haïm Slovès (1905-1988) geschrieben wurde. Nach der Befreiung stark verändert, wurde das Stück von den besten Künstlern des jiddischen Theaters der unmittelbaren Nachkriegszeit inszeniert, insbesondere von Oscar Fessler und Zygmunt Turkow. Zwischen 1946 und 1949 wurde es etliche Male, in Paris, New York, Los Angeles, Breslau, Rio de Janeiro und Buenos Aires aufgeführt.“ (yiddishteater.org)

Wie es auch bei der Meguilla von Itsik Manger der Fall ist, tauchen auch in Sloves Stück neue Figuren auf und darüber hinaus werden die klassischen Figuren verändert. Mordechai wird so zum Heiratsvermittler, Ehestifter und ist noch dazu ein alter Freund einer der Palastwachen. Ein Loyalist, „Mr Loyal“, ist auch dabei, um zum Publikum zu sprechen und die Figuren vorzustellen. Er spricht sogar bei König Ahasveros vor und versucht diesen von einer schlechten Entscheidung abzuhalten…

Dieses Pourim-Shpil verfügt über einen besonderen Charakter. Während des zweiten Weltkriegs geschrieben und in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgeführt, ist der Vergleich von Haman mit Hitler offensichtlich. Auch wenn das Ende das Stück, mit einem absurden Volkstanz endet und sich damit eines Pourim-Shpil für würdig erweist, versäumt es doch nicht, seine Moral zu verkünden:

So ein Ende wird erleidenune_telle_fin_arrivera4.jpg
Ein jeder Haman dieser Welt
Tralala und Tralalala
Ein jeder Haman dieser Welt!
Mag es auch traurig sein, freut euch dennoch
Hört zu Brüder, hört zu Brüder
Einen jeden Haman dieser Welt, vergraben wir
Sechs Fuß tief im Erdboden
Tralala und Tralalala
Ein jeder Haman dieser Welt, sechs Fuß tief im Erdboden!

 

Pourim iz a shpil aza
Purim ist so ein Spiel ist ein musikalisches Gedicht, verfasst auf Jiddisch, geschrieben von Mirl Hofman (der das Pseudonym Gabriel Tolies verwendete), welches 1968 in New York veröffentlicht wurde und dessen Musik von Malke Gotlib (der Schwester von Chane Mlotek, einer bekannten Komponistin jiddischer Lieder) komponiert wurde. Diese Geschichte für Kinder wurde in einer einfachen Sprache verfasst, um so den Sinn des Gedichts für eben diese leichter verständlich zu machen. Als beispielsweise Haman sieht, dass Mordechai zu einem häufigen Gast im Palast des Königs wird, warnt dieser den König schnell, vor dem „Hokus-Pokus“ Mordechais und dass dieser ihn „in einen Kuckuck verwandeln“ wolle. Dieses schöne Buch wurde von Tsirl Valetski illustriert und enthält den jiddischen Text, die Melodien, sowie ein kleines Glossar mit einigen jiddischen Begriffen und deren Bedeutung.purim_iz_a_shpil.jpg

Das gesamte Buch ist auf der Internetseite des Yiddish Book Center verfügbar

Esther de Carpentras
Esther de Carpentras ist eine vom Pourim-Shpil inspirierte Opera buffa in zwei Akten, deren Begleitheft von Armand Lunel geschrieben und deren Musik von Darius Milhaud komponiert wurde. Die Oper wurde am 1. Februar 1938 in der Opéra Comique von Paris uraufgeführt.

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Armand Lunel schrieb am 30. Januar 1938 in der großen unabhängigen Tageszeitung Ce Soir:

„Beim Schreiben von Esther de Carpentras haben wir uns von einem traditionellen Stoff inspirieren lassen, der auf das Mittelalter zurück geht. Jedes Jahr im März feiern die Juden in der Synagoge das Purimfest, welches an das wundersame Eingreifen von Königin Esther bei König Ahasveros, zur Befreiung der Israeliten von der Verfolgung durch seinen Minister Haman erinnert, welcher das Datum des Massakers per Los beschlossen hatte. Doch in der Zeit der Ghettos, war Purim ein richtiges Volksfest und sogar eine Art Karneval. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, veranstalteten die Juden von Carpentras zu diesen Anlass Volksaufführungen der biblischen Erzählung, welche unter freiem Himmel auf dem Hauptplatz des jüdischen Viertels stattfanden. Diese Stücken wurden zuerst auf Hebräisch geschrieben, dann auf Provenzalisch; man hat sie mit den Mysterienspielen des Mittelalters verglichen, denn der Ton der Posse und köstliche Naivitäten, verbanden sich hier natürlich mit der religiösen Feierlichkeit und bildeten, ähnlich wie bei den provenzalischen Pastoralen, eine überaus geschmackvolle Mischung.

[…] Der erste Akt formt einen Prolog, in welchem drei alte Juden des Ghettos von Carpentras zu sehen sind: Artaban, ein Finanzier, Babacan, der Synagogenwärter und Cacan, ein Theaterliebhaber, kommen als Delegation zum städtischen Kardinalbischof, um ihn um Erlaubnis zu bitten, das Drama Esther am nächsten Tag aufführen zu dürfen. Im Vorzimmer des Bischofpalastes werden sie von Vaucluse, dem bischöflichen Kammerdiener, zunächst eher schlecht empfangen. Vaucluse hatte immer schon eine ungewöhnliche Marotte: nämlich die, die Juden des Comtat Venaissin, durch von ihm selbst in seiner Freizeit komponierten Weihnachtsliedern, zu bekehren; […] Da er (der Kardinalbischof) erst kürzlich aus Rom gekommen war, ist er ziemlich überrascht, Juden eines solch eigenartigen Typus in Carpentras vorzufinden; […] Doch nachdem sie gegangen sind, verspricht er sich insgeheim von der Darbietung von der Königin Esther, um es noch besser als Vaucluse zu machen, den Versuch einer Massenbekehrung aller Juden der Stadt zu wagen.“ Armand Lunel

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In dieser Beschreibung des ersten Aktes sind alle Codes des Pourim-Shpils zu finden: die Verformung der biblischen Figuren (im zweiten Akt wird Artaban, die Rolle des Ahasverus übernehmen und Barbacan die des Mordechai…), diese Technik des „Theaters im Theater“, der leicht schwarze Humor, mit dem Kammerdiener, der in seiner Freizeit Weihnachtslieder komponiert…

Das Stück geht glücklicherweise gut aus, wie Armaud Lunel in seiner Ausführung erklärt: „Das Drama endet mit einem doppelten Chor: Zum einen kommt das Kapitel, um den Bischof zu holen, zum anderen danken die Juden dem Herrn. So kommt alles wieder in Ordnung; denn am Vorabend im Judenviertel von Carpentras unter diesem toleranten südländischen Himmel, hätten die Stimmen des Alten und des Neuen Testaments über viele Jahrhunderte hinweg, ohne den geringsten falschen Ton erklingen können.“

Quellen :
“L’histoire du Pourim Shpil”, auf der Internetseite des Kollektivs Pourim Shpil, Jean Baumgarten
“La Meguilla d’Itsik”, herausgegeben vom Centre-Medem Arbeter Ring, Vorwort von Bernard Vaisbrot
“Homens Mapole”, auf der Internetseite der jiddischen Theatertruppe Troïm Teater
“Purim is a shpil aza”, auf der Internetseite des Kollektivs Pourim Shpil
“Fir kemferins kegn di pesimistn fun yiddish”, Sore-Rokhl Shekhter, Forverts, 9 März 2012
“Esther de Carpentras”, auf der Internetseite des Kollektivs Pourim Shpil, Louis Laloy

 

Greifen Sie auf die Internetseite von Troïm Teater zu
Erfahren Sie mehr über Die Meguilla von Itsik, herausgegeben vom Centre Medem Arbeter Ring
Hören Sie die von Hervé Roten präsentierte Radiosendung des IEMJ über das Pourim-Shpil, mit Bernard Vaisbrot an

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