
Artikel von Hervé Roten, erschienen im Arche Magazin Nr. 684, Januar-Februar 2021, pp. 124-125.
Bei der 1997 wiederentdeckten Partitur des Oratoriums Ester (1774) von dem Komponisten Cristiano Giuseppe Lidarti, handelt es sich um das längste und umfangreichste Werk der hebräischen Gelehrtenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts.
Der genaue Ursprung dieses hebräischen Oratoriums, welches die Geschichte der Königin Esther nachzeichnet, bleibt rätselhaft. Bis vor kurzem war der Text des Oratoriums nur in Form von zwei Manuskripten in der Bibliothek der portugiesisch-jüdischen Gemeinschaft in Amsterdam und in einem dritten Manuskript in der Bibliothek des Hebrew Union College in Cincinnati überliefert. Jedoch enthielt keines der Manuskripte Musiknoten.

Saravals Libretto basiert auf dem Text von Händels zweiter Fassung des Oratoriums (1732), jedoch mit vielen Kürzungen und einigen Ergänzungen und blieb bis zum 7. November 1997 ohne Musik. 1997 entdeckte Richard Andrewes, der Bibliothekar der Universität von Cambridge, in einem Antiquariat eine handschriftliche Partitur von Cristiano Giuseppe Lidarti mit dem Titel Ester Oratorio, 1774.

Eine Frage bleibt jedoch bis heute unbeantwortet. Wer bat Lidarti, eine neue Musik auf Saravals Libretto zu komponieren? War es David Franco Mendes, der berühmte Historiker und Sekretär der Gemeinschaft, selbst ein vielschaffender Dichter, der dem Anschein nach, das Libretto bei Saraval in Auftrag gab? Bislang handelt es sich hierbei um eine unbestätigte Hypothese. Lidarti selbst erwähnte in seiner Aneddoti musicali betitelten Autobiografie, weder die Existenz dieses Werks noch die beruflichen Beziehungen, welche er mit den portugiesischen Juden in Amsterdam unterhielt. Es ist anzumerken, dass die Autobiografie kurz ist (ca. 1300 Wörter) und darin seine Kompositionen kaum erwähnt werden, da sie es ihm zufolge „keine Beachtung verdienen“ würden. Dennoch ist sein Oratorium weit davon entfernt ein unbedeutendes Werk zu sein, sowohl in Anbetracht seines imposanten musikalischen Umfangs als auch seiner Dauer (von fast zwei Stunden)!
Werksanalyse
Lidartis Ester
Formell wurde das Werk, obwohl es auf 1774 datiert ist, im vorklassischen Stil der 1720er und 1750er Jahre komponiert. Die Ouvertüre in drei Sätzen erinnert an die Symphonien von Sammartini und die Opernouvertüren von Pergolesi, Jommelli und Galuppi und das Orchester verfügt noch über ein Basso continuo, ein Überbleibsel der barocken Musikpraxis. Die Arien und Duette folgen ebenfalls dem vorklassischen galanten Stil; die Melodie ist im Wesentlichen zyklisch und die Abschnitte des Werks sind durch expressive Kontraste klar voneinander abgegrenzt.
Daher handelt es sich um ein Werk, dass es verdient, wiederentdeckt zu werden. Bis heute existiert keine vollständige Aufnahme des Oratoriums, welches leider vergriffen ist. Dennoch sind die Biografie Lidartis und zahlreiche Auszüge aus seinem Werk, auf der Internetseite des Institute Européen des Musiques Juives einsehbar. Darüber hinaus sind auf YouTube Auszüge des Werks in einer farbenfrohen und vom Pourimspiel inspirierten Version, gespielt von dem Barockensemble Le Tendre Amour zu sehen.
Diskographie
Ester ou Le Salut d’Israël par Ester, de Cristiano Giuseppe Lidarti, Euterpe, 2003.
Livret du rabbin Jacob Raphael Saraval. Direction de Friedemann Layer. Interprétation par l’Orchestre national de Montpellier et le Chœur de la Radio lettone.
Musiques juives baroques : Venise, Mantoue, Amsterdam (1623-1774) – Hommage à Israël Adler, par l’Ensemble Texto, Buda Musique, coll. « Patrimoines musicaux des juifs de France », vol. 10, 2011. Direction de David Klein.
Biografie
– La pratique musicale savante dans quelques communautés juives en Europe aux XVIIème et XVIIIème siècles, d’Israël Adler, Mouton & Co, 1966, pp. 189-236.
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