Walter Kaufmann: Kammermusik

Sammlung Music in Exile

Die CD Walter Kaufmann: Musique de chambre ist die vierte Ausgabe der Serie Music in Exile, erschien am 28. August 2020 bei Chandos und lässt uns das zu Unrecht vergessene Werk eines tschechisch-jüdischen Komponisten entdecken, der 1934 vor den Nazis floh…

 

Walter Kaufmann ist einer von vielen jüdischen Komponisten, die in Folge der Machergreifung der Nationalsozialisten und den gesellschaftlichen Umwälzungen, die dem Zweiten Weltkrieg folgten, verdrängt wurden und in Vergessenheit gerieten.

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Das Schicksal dieses Komponisten, Dirigenten und Musikwissenschaftlers wird in dem Begleitheft der ausführlich dokumentierten CD von Simon Wynberg, Direktor des 2002 in Kanada gegründeten und ansässigen ARC Ensembles (Artists of the Royal Conservatory), beschreiben.

Walter Kaufmann wurde am 1. April 1907 in Karlsbad, einem beliebten Kurbadeort des österreich-ungarischen Reichs, der nach dem Ersten Weltkrieg, Teil der Tschechoslowakei wurde, geboren. Da er besonders musikalisch begabt war, nahm man ihn Ende der Mittelstufe, an der Musikhochschule von Berlin an, wo er unter Franz Schreker Komposition und Musikwissenschaften unter Curt Sachs, dem Pionier dieser Disziplin, studierte. Letzterer war es auch, der ihm die Musik Indiens näherbrachte. 1933 entdeckte er, während er an der Deutschen Universität von Prag an seiner Dissertation in Musikwissenschaften arbeitete, dass sein Doktorvater eine Gruppe der Hitlerjugend betreute. Er entschied sich daher, Prag zu verlassen und ging im Februar 1934, nachdem er ein Visum für Indien erhalten hatte, nach Bombay. Wenige Monate später, folgte ihm seine Frau. Der Rest der Familie, welcher nicht an den Fortbestand der nationalsozialistischen Bewegung glaubte, wurde im Krieg größtenteils ausgelöscht.

In Bombay wurde Kaufmann für das All India Radio (AIR), als Leiter der europäischen Musik, engagiert. 1936 komponierte er den Radiojingle des Senders, dessen Melodie noch heute hunderte Millionen Indern kennen, ohne dabei zu ahnen, dass das es sich dabei um das Werk eines jungen tschechoslowakischen jüdischen Flüchtlings handelt. In Indien lernte Kaufmann den Violinisten Mehli Mehta kennen, dessen Sohn Zubin Mehta, später einer der bekanntesten Dirigenten der Welt werden sollte und einen Teil seiner Karriere auch in Israel verfolgte. Kaufmann komponierte außerdem mehrere Filmmusiken für die aufstrebende Filmindustrie in Bombay, dem späteren Bollywood.

Seinem Traum folgend am Broadway oder in Hollywood Karriere zu machen, brach Kaufmann im Dezember 1937, Richtung New York auf. Zwei Jahre später kehrte er nach Indien zurück, nachdem aus seinem amerikanischen Eldorado, nichts geworden war. Nach Kriegsende, genauer gesagt am 30. August 1946, ging er nach London. Doch da die Anziehungskraft Amerikas weiter bestand, kehrte er am 17. August 1947, erneut nach New York zurück. Im September 1948 wurde er in Kanada, Dirigent des Winnipeg Symphony Orchestra. Er machte aus dem Orchester ein Profi-Ensemble und gab viele Konzerte, auf denen auch einige seiner Werke gespielt wurden. Außerdem interessierte er sich auch für das Unterrichten, besonders von jungen Menschen.

1956 bot man ihm schließlich, eine Stelle an der Musikschule der Indiana University Bloomington in den USA, an. Dort veröffentlichte er seine Forschungen über die Musik Indiens, insbesondere in dem Werk Musical Notations of the Orient. Kaufmann wurde so als Musikwissenschaftler, Lehrer Dirigent und Komponist bekannt.

Er starb am 9. September 1984 im Alter von 77 Jahren an Herzversagen.

Sein größtenteils an der Universität von Indiana in Bloomington aufbewahrtes Werk, umfasst mehr als einhundert Stücke aller möglichen Genres: Symphonien, Opern, Konzertstücke, Vokal- oder Instrumentalstücke…  Der musikalische Stil der Stücke spiegelt die Persönlichkeit und den Werdegang dieses außergewöhnlichen Mannes wider. Es finden sich in seinem Werk die Einflüsse der indischen Musik und ihren Modi (Ragas), vermischt mit Reminiszenzen von Debussy, Bartok, Strawinsky und ebenso mit bohème und Klezmer Klängen!

Zu bemerken ist, dass die CD, Teil der Serie Music in Exile (Exilmusik) ist, die am heutigen Tag drei CDs umfasst, welche sich den Werken der Kammermusik von Paul Ben-Haim (Veröffentlichung 2013), Jerzy Fitzelberg (2015) und Szymon Laks (2017) widmen.

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Paul Ben-Haim (1897-1984), geboren unter dem Namen Paul Frankenburger, floh vor dem Nationalsozialismus und emigrierte im Jahr 1933 in das Mandatsgebiet Palästina und wurde zu einem der berühmtesten Komponisten Israels. Das ARC Ensemble spielt auf dieser CD das Klavierquartett, op. 4, das seit 1932 nicht mehr aufgeführt worden war.

Der in Warschau geborene, Jerzy Fitelberg (1903-1951) zeigte schon früh sein unbestreitbares musikalisches Talent. Nach dem Abschluss des Warschauer Konservatoriums setzte er ab 1922, sein Studium der Komposition an der Musikhochschule von Berlin, insbesondere unter Franz Schreker, fort. 1933 floh er aus Nazi-Deutschland und ließ sich in Paris nieder, bevor er 1940 ins amerikanische Exil ging. In New York komponierte er weiter. Da er einen guten Ruf genoss, erhielt er 1947, vier Jahre vor seinem Tod, die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sein Werk umfasst mehr als 80 Stücke, ist aber heutzutage teilweise in Vergessenheit geraten. Auf der CD werden fünf Stücke seiner Kammermusik vorgestellt, die zwischen 1921 und 1943 komponiert wurden.

Nach seinem Musikstudium am Konservatorium von Warschau, besuchte Szimon (Simon) Laks (1901-1983) Wien, bevor er sich schließlich 1926 in Paris nieder. Unter Henri Rabaud und Paul Vidal studierte er Komposition. Im Mai 1941 wurde Laks verhaftet und im Lager Pithiviers in der Region Loiret interniert, bevor er vierzehn Monate später nach Auschwitz-Birkenau deportiert wurde.  Man ernannte ihn zum Leiter des Lager-Orchesters, was sein Überleben sichern sollte. Diese traumatische Erlebnis, welches er auch in seinem 1948 erschienen Buch Musiques d’un autre monde (die Neuauflage erfolgte anschließend unter dem Titel Musik in Auschwitz) thematisierte, prägte sein ganzes Leben. Simon Laks komponierte an die zwanzig Stücke, von denen einige Stücke verloren gingen, in verschiedenen Genres: Filmmusik, Kammermusik und sogar eine Oper (L’Hirondelle inattendue). Nur wenige seiner Werke beziehen sich auf den Holocaust. Eine Ausnahme stellt die Elégie pour les villages juifs (1963)dar, in welcher das Verschwinden des jüdischen Lebens aus Polen beklagt wird.

 

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